WIE WEITER?
Und wie kommen wir ins Handeln?
In den letzten zwei Salonen haben wir uns mit der Frage nach der Zukunft, nämlich welche auf uns zukommt und wie wir auf diese einwirken können, beschäftigt.
Im 29. Philosophischen Salon stellten wir uns die Frage nach möglichen Zukunftsszenarien, vor allem angesichts der aktuellen Klimakrise. Was müssen wir ändern, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen? Wie werden wir uns fortbewegen, was sollen wir konsumieren, an welchen Stellen müssen wir unser Verhalten radikal anpassen?
Zur Anregung lasen wir Harald Welzers „Alles könnte anders sein“. Welzer entwirft gerne Utopien, allerdings ist gerade er derjenige, der davor warnt, auf eine großangelegte Utopie zu setzen. Er empfiehlt eher an punktuelle und situative Veränderungen zu glauben. Also Utopien im Plural möglichst schnell, im Sinne von best practice Modellen, umzusetzen. Wie das geht, zeigt er unter anderem mit seiner Initiative und dem Journal futurzwei.
Er spricht hier von einer „Modularen Revolution“. Ein paar Eckpunkte aus Welzers Ansatz:
* Verändern müssen wir natürlich die Art und Weise, wie wir reisen. Das Auto stellt ein großes Problem dar, dabei könnten vor allem Städte im großen Ausmaß darauf verzichten (Stichwort autofreie Stadt).
* Unser Wohlstand gründet immer noch auf Ressourcen, die in Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen münden. Wir müssen uns als eine Externalisierungsgesellschaft verstehen, die eine imperiale Lebensweise aufweist, in der die Konsequenzen stets andere zu tragen haben. Auch das muss aufhören.
* Vor allem hinterfragen müssen wir unsere Ideologie des „immer mehr“ und „immer günstiger“.
* Wovon es tatsächlich mehr geben muss und sollte sind immaterielle Güter oder Werte, wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Gesundheit und Demokratie.
* Gerade letztere leidet in den letzten Jahren enorm und wird subtil untergraben.
Die Bausteine, die Welzer als Maßnahmen gegen dieses Handeln setzen will, sind folgende (nur eine Auswahl):
* Eine grenzenlose Welt
* Internalisierung von Kosten (also dass wir selbst für das aufkommen, wovon wir profitieren, Bsp. Bangladesch)
* Starke transnationale Institutionen
* Autofreie und analoge Stadt
* Gemeinwohlökonomie und Gemeinwohlbilanz
* Bedingungsloses Grundeinkommen
* etc.
Die Diskussion war nicht leicht, denn wie uns allen klar ist, sind all die Phänomene, von denen wir sprechen, in komplexer Weise miteinander vernetzt. Sobald wir beginnen ein inhaltliches Thema anzugreifen, verzweigt es sich in komplexe Kausalzusammenhänge. Überall gibt es Expertisen, die meist von anderen wiederum infrage gestellt werden. Genau hier liegt wahrscheinlich schon der Kern des Problems, den wir im darauf folgenden Salon versucht haben, nachzuspüren.
Die große Frage bleibt, müssen wir radikal umdenken und uns an einen völlig neuen Gesellschaftsentwurf und ein neues Weltbild wagen oder ist viel mehr realistisch, dass wir an den kleinen Schrauben drehen, die wir seit Jahren bemühen? Und vor allem: werden diese kleinen Schrauben ausreichen, um uns in eine lebenswerte Zukunft zu bringen?
Die Salongäste nannten folgende Punkte, die ihnen für eine gelingende Zukunft wichtig erschienen:
* Bildung
* Einschränkungen in Kauf nehmen
* Geistige Autonomie und kritisches Denken; Reflexion
* Zusammenhalt, Liebe
* Regionalisieren statt Globalisierung
* Augenmaß
* Eigenverantwortung
* Internationalität
* Ohne Wirtschaft kein Sozialstaat
Im 30. Philosophischer Salon vertieften wir also das Thema, indem wir über das WIE nachdachten: Bewusstseinsbildung oder Regulierung?
„Awareness“ - ein beliebtes Schlagwort unserer Zeit soll dazu führen, das Verhalten der Menschen auf vernünftige Weise zu ändern. Jeder und jede sollte nach dem Stand seiner/ihrer Erkenntnis handeln. Doch gelingt das? Müssen nicht doch andere Maßnahmen getroffen werden und muss nicht viel eher regulatorisch, per Gesetz oder sogar Strafe, interveniert werden?
Handlungsaspekte
(c) Tadej Brezina / Die gesamte Grafik gibt es hier zu sehen
Hier inspirierte uns Tadej Brezina von der TU Wien mit einem aufschlussreichen Input Vortrag und der folgenden Grafik:
Besonders spannend ist hier die Frage, welche Kraft die Willensfreiheit im Entscheidungsprozess hat und natürlich, ob und inwieweit der Willensakt überhaupt in ein Handeln mündet. Wir alle wollen viel, haben auch viel Wissen über Zusammenhänge und den Konsequenzen unseres Handelns, doch oft ändern wir deshalb längst noch nicht unser Verhalten.
Folgen Strukturen einer veränderten Wertehaltung oder führen angepasste Strukturen zur Verschiebung von Werten? Wir kamen zum Schluss, dass dieses Verhältnis ein zirkuläres ist.
Gesellschaftsentwurf: wohin?
Dem ganzen vorgelagert stellt sich vor allem noch die Frage: wo wollen wir überhaupt hin? Es gibt nicht einmal eine flächendeckende Einigung in Bezug auf die Klimakrise, ob überhaupt gehandelt werden muss. Darüber, wo wir beginnen solltenen, ganz zu schweigen. Fehlt es also noch an konkret ausgehandelten Zielvereinbarungen? Wieder stellt sich also die Frage nach einem Gesellschaftsentwurf.
Wenn wir nun noch ins Treffen führen, dass ein Handeln relativ rasch geschehen müsste, um das Schlimmste abzuwenden (siehe Australien), dann kann uns dieser Gedanke schnell frustrieren und wieder in die Untätigkeit treiben.
Freiheit vs. Sicherheit und Effizienz
Die zweite Frage, die sich hier stellt, ist eine der Werte und dessen, was wir gesamtgesellschaftlich vertreten sehen wollen. Der Staat ist für viele bereits überreguliert, vor allem, wenn wir an Überwachung und das Thema Sicherheit denken. Laut John Stuart Mill, den wir zur Anregung lasen, soll aber die individuelle Freiheit zu einem maximalen Ausmaß garantiert werden. Der Staat hat erst dort einzuschreiten, wo andere verletzt werden. Wenn wir allerdings die Klimakrise mit Mill lesen, dann könnten wir durchaus behaupten, dass an unserem Verhalten, v.a. in den Wohlstandsländern, viele oder global alle leiden. Um dieses Leid zu mindern und natürlich schlussendlich unser eigenes Leben retten zu könnten, dürften wir also durchaus auf Sanktionen und Strafen zurückgreifen.
Foto: https://www.techspot.com/news/78886-impact-china-social-credit-system-already-felt.html
Wir kamen größtenteils zum Schluss, dass wohl nur eine Mischung aus Bewusstseinsbildung und Gesetzgebung, vor allem auf der Strukturebene, uns in eine lebenswerte Zukunft bringen kann. Auf der anderen Seite, müssen wir natürlich immer abwägen, denn wir wissen, wie schnell strukturelle Maßnahmen oder das Vergeben von Gutpunkten für gewünschtes Verhalten zu einem Überwachungsstaat führen können: siehe das social credit System in China. Ein überregulierter Staat hat immer totalitäre Tendenzen.
INS HANDELN KOMMEN...
Warum kommen wir also nicht schneller und effizienter ins Handeln? Beim Coronavirus sind Regierungen äußerst schnell in ihrer Reaktionsgeschwindigkeit. Uns ist natürlich klar, warum dies der Fall ist. Die Klimaproblematik ist eine höchst komplexe. Es gibt zahlreiche Faktoren, die hier eine Rolle spielen, alles ist vernetzt. Der Coronavirus ist in seiner Gestalt noch eingrenzbar.
Zudem verlangt uns hier das notwendig andere Verhalten viel ab. Der Mensch tendiert dazu, möglichst wenig verändern zu wollen und das Gewohnte nicht aufs Spiel zu setzen. Und das, obwohl einmal angepasst, das neue Verhalten ebenso schnell zur Routine werden könnten (z.B. Verzicht aufs Auto). Hier bräuchte es also doch strukturelle Vorgaben.
Schlussendlich wollte ich von meinen Gästen wissen, ob sie selbst davon ausgehen, dass sie ihren Überzeugungen und ihrem Wissensstand entsprechend, handeln.
Die Antworten waren spannend:
* Provokant verwirrend
* Ja, weil es Spaß macht
* Ja, mit einer gegenseitigen Freiheitsunterstellung
* Faktenbasiert handeln, Einzelnen die größt mögliche Freiheit einräumen
* Ja, meiner Erkenntnis entsprechend handelnd
* Ja, schon immer, aber den Kindern gelingt es nicht
* Mit dem Versuch, die Differenz zwischen Wissen und Tun möglichst klein zu halten
* Wenn nicht mit dem Kopf, dann mit dem Bauch
* Balance herstellen zwischen den Bedürfnissen und der Vernunft, im Sinne der Eigenverantwortung
* Der Bauch entscheidet im Einklang mit dem Gedachten
* Knapp unter 10: sind meine Werte überhaupt die richtigen?
* Ja, aber reicht es? Nein! Man muss ich gegenüber den Kindern rechtfertigen können.
Mein großer Dank gilt noch einmal Tadej Brezina! Und natürlich allen anderen Gästen!
Und im Sinne der Zukunft freue ich mich schon auf den nächsten Salon!