Die unerträgliche Leichtigkeit der Langeweile - Einige Anregungen

Cornelia Mooslechner-Brüll

Die Langeweile, ein scheinbar banaler Zustand, birgt in sich eine Tiefe, die Philosoph:innen seit Jahrhunderten fasziniert und herausfordert. Sie ist mehr als nur ein flüchtiges Gefühl der Untätigkeit; sie ist ein Fenster zur menschlichen Existenz, ein Spiegel unserer Beziehung zur Zeit und zum Sein selbst.

Einer meiner Seelenverwandten hat eine ganz frühe Erfahrung, von der ich, als ich sie las, gar nicht glauben konnte, dass jemand so etwas exakt selbes wie ich erleben konnte, hat mit Brillanz geschildert:

„Die Erfahrung der Langeweile, nicht die vulgäre aus Mangel an Gesellschaft, sondern die absolute, war für mich persönlich wichtig. Wenn jemand sich von seinen Freunden verlassen fühlt, so ist das nichts. Die Langeweile an und für sich geschieht grundlos ohne äußere Einwirkungen. Damit verbindet sich das Gefühl leerer Zeit, so etwas wie Leerheit, die ich immer gekannt habe. Ich kann mich gut an das erste Mal mit fünf Jahren erinnern. Ich war damals nicht in Hermannstadt, sondern in Altrumänien mit meiner ganzen Familie. Da wurde mir auf einmal bewusst, was Langeweile ist. Es war gegen drei Uhr nachmittags, als mich so ein Gefühl des Nichts, der Substanzlosigkeit beschlich. Es war, als wenn alles plötzlich irgendwie verschwunden sei, das Vorbild von all diesen Anfällen der Langeweile, der Einstieg in die Nichtigkeit und der Anfang meiner philosophischen Reflexion. Dieser intensive Zustand des Alleinseins machte mich so betroffen, dass ich mich frage, was er zu bedeuten habe. Sich nicht dagegen wehren und sich nicht davon durch Reflexion befreien zu können, und die Ahnung, dass es wiederkehrt, wenn man es einmal erlebt hat, das verunsicherte mich so sehr, dass ich es als Orientierungspunkt akzeptierte. Auf dem Gipfel der Langeweile erfährt man den Sinn des Nichts, insofern ist dieses auch kein deprimierender Zustand, da es für einen Nicht-Gläubigen die Möglichkeit darstellt, das Absolute zu erfahren, so etwa wie den letzten Augenblick.“

Es handelt sich natürlich um Emil Cioran (in einem Interview in der Frankfurter Rundschau 1994).

Was Cioran hier "Langeweile" nennt, habe ich mein Leben lang "die Banalität des Seins" genannt - aus Ermangelung eines anderen Begriffs? Ganz festmachen lässt sich dieses Erleben nämlich nicht. Es lässt sich begrifflich nicht einfassen, wie so vieles, für das uns die Worte fehlen.

Zu schnell degradieren wir die Langeweile herab zu einem reinen Zweck für den Moment neuerlicher Kreativität. Wir sagen: Lass doch die Kinder sich langweilen, dann kommen sie auf neue Ideen. Doch die Langweile verdient, ihren eigenen Platz zu bekommen, ohne instrumentalisiert zu werden für etwas ihr Entgegengesetztes.

Die Natur der Langeweile

Langeweile manifestiert sich auf vielfältige Weise. Sie kann eine oberflächliche Ungeduld sein, ein tiefes existentielles Unbehagen oder eine kreative Pause. In ihrer einfachsten Form ist sie ein Zustand der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Moment, gepaart mit dem Unvermögen, sich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren.

Doch was verbirgt sich hinter diesem scheinbar trivialen Gefühl? Philosoph:innen argumentieren, dass die Langeweile fundamentale Fragen über das menschliche Dasein aufwirft:

  • Wie gehen wir mit Zeit um?

  • Was gibt unserem Leben Sinn und Bedeutung?

  • Wie verhält sich unser Bewusstsein zur Welt um uns herum?

Existentialismus und Langeweile

Im Existentialismus nimmt die Langeweile eine zentrale Rolle ein. Martin Heidegger, einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, sah in der Langeweile eine "Grundstimmung" des menschlichen Daseins. Er unterschied drei Formen der Langeweile:

  • Das Gelangweiltwerden von etwas

  • Das Sichlangweilen bei etwas

  • Die tiefe Langeweile

Besonders die dritte Form interessierte Heidegger. Er beschrieb sie als einen Zustand, in dem die Zeit selbst zum Stillstand zu kommen scheint: Die tiefe Langeweile, in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herziehend, rückt alle Dinge, Menschen und einen selbst mit ihnen in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammen. Diese Langeweile offenbart das Seiende im Ganzen.

Für Heidegger offenbart die Langeweile das "Sein" in seiner Ganzheit und konfrontiert uns mit der Leere und Bedeutungslosigkeit unserer alltäglichen Beschäftigungen.

Blaise Pascal und die Flucht vor der Langeweile

Schon im 17. Jahrhundert erkannte der französische Philosoph Blaise Pascal die existentielle Bedeutung der Langeweile. Er sah in ihr eine fundamentale menschliche Erfahrung, die uns mit unserer eigenen Endlichkeit und Unzulänglichkeit konfrontiert:

"Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere." (Pascal, Pensées II, 131/622)

Pascal argumentierte, dass die Menschen ständig nach Ablenkung suchen, um der Langeweile und damit der Konfrontation mit sich selbst zu entfliehen. Diese Flucht vor der Langeweile sah er als eine grundlegende Triebfeder menschlichen Handelns.

Auch Søren Kierkegaard setzt sich in seinen Werken intensiv mit dem Phänomen der Langeweile auseinander, insbesondere in Bezug auf die ästhetische Existenzsphäre. In seinem Essay "Crop Rotation" (Fruchtwechsel) stellt er sich explizit die Aufgabe, um jeden Preis die Langeweile zu vermeiden. Der Ästhetiker in Kierkegaards Philosophie ist ständig auf der Suche nach dem "Interessanten", um der Langeweile zu entfliehen. Doch ironischerweise führt gerade diese distanzierte Haltung des Betrachters letztlich zur Verzweiflung.

Kierkegaard sieht in dem verzweifelten Versuch, der Langeweile zu entkommen, eine treibende Kraft im Leben des Ästhetikers. Gleichzeitig kritisiert er diese oberflächliche Lebensweise als letztlich unbefriedigend. Stattdessen plädiert er für eine tiefere, authentischere Auseinandersetzung mit dem Leben und der eigenen Existenz, die über die bloße Vermeidung von Langeweile hinausgeht.

Obwohl Kierkegaard die ästhetische Strategie im Umgang mit Langeweile als problematisch ansieht, erkennt er dennoch ihre existentielle Bedeutung an. Die Erfahrung der Langeweile treibt den Menschen dazu, sich mit grundlegenden Fragen des Lebens und der eigenen Existenz zu beschäftigen. Insofern kann die Langeweile auch als Ausgangspunkt für eine philosophische und religiöse Reflexion dienen.

Kierkegaards Analyse der Langeweile ist eng verknüpft mit seiner Kritik an der ästhetischen Existenzsphäre und seinem Plädoyer für eine religiöse Lebensweise, die von Innerlichkeit und Subjektivität geprägt ist. Seine Einsichten bieten wertvolle Anknüpfungspunkte für eine tiefere Auseinandersetzung mit der Rolle der Langeweile in unserem Leben und der Frage nach einem sinnerfüllten Dasein.

Langeweile als Chance

Während viele Philosoph:innen die Langeweile als etwas Negatives betrachteten, sahen andere in ihr auch positive Aspekte. Friedrich Nietzsche beispielsweise erkannte in der Langeweile eine Quelle der Kreativität:

"Für den Denker und jeden feinen Geist ist die Langeweile jene unangenehme 'Windstille' der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre Wirkung bei sich abwarten." (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1982)

In dieser Perspektive wird Langeweile zu einem fruchtbaren Boden für neue Ideen und Einsichten. Sie schafft einen Raum, in dem der Geist frei wandern und unerwartete Verbindungen herstellen kann.

Langeweile in der modernen Gesellschaft

In unserer heutigen, von ständiger Stimulation und Unterhaltung geprägten Welt, gewinnt die philosophische Betrachtung der Langeweile neue Relevanz. Paradoxerweise scheint die Langeweile in einer Zeit, in der wir ständig beschäftigt sind, häufiger aufzutreten als je zuvor.

Dies wirft neue Fragen auf:

  • Haben wir verlernt, mit Langeweile umzugehen?

  • Welche Rolle spielt die Technologie in unserem Verhältnis zur Langeweile?

  • Wie können wir die Langeweile als Chance zur Selbstreflexion und kreativen Entfaltung nutzen?

Die philosophische Auseinandersetzung mit der Langeweile zeigt uns, dass hinter diesem scheinbar banalen Gefühl tiefgreifende Fragen über das menschliche Dasein stehen. Sie fordert uns heraus, unsere Beziehung zur Zeit, zum Sein und zu uns selbst zu überdenken.

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Philosophie und Krise: Eine Reflexion über Hoffnung und Handeln in schwierigen politischen Zeiten

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